Wie das manchmal so geht, da bekommt man von einem netten Menschen einen Stapel Langspielplatten geschenkt und schon bei der ersten Durchsicht grübelt man darüber nach, wie man diese Schätze wohl am besten hörbar machen kann. Ich gebe zu, es sind schon einige Jahre vergangen, seitdem ich zuletzt Langspielplatten gehört habe. Das nötige Equipment hatte ich zwar noch, die Frage war nur, würden die Geräte noch funktionieren. Beim Plattenspieler, ein Kenwood KD-770D, geht’s ja hauptsächlich um den Antrieb und um das Lagerspiel des Tonarms. Erste Tests ließen gutes erahnen. Mann muss dabei bedenken, dass dieser Plattenspieler bald 30 Jahre alt wird, während dessen hat er aber wohl nur wenige Betriebsstunden geleistet.
Plattenspieler Kenwood KD-770D
Ende der neunziger Jahre hatte ich, nach einem Vorschlag von Gerhard Haas, einen leistungsfähigen Entzerr-Vorverstärker gebaut, dessen Übertragungsdaten mich damals schon überzeugten. Allerdings fehlten dem Gerät ein Kopfhöreranschluss und ein Lautstärkeeinsteller. Eine gute Kopfhörerbuchse von Neutrik war noch lagernd und konnte passend eingebaut werden. Für die Realisierung der Lautstärkeeinstellung entschied ich mich für eine 2-Stufen Variante bestehend aus einem 20dB Schalter im Signalweg und einen in 3dB-Stufen eingeteilten Drehschalter mit 8 Stellungen zur Verstärkungs-einstellung. Damit lies sich ein Einstellumfang von 41dB realisieren, was sich in diesem Fall als praxistauglich erwies und vor allem konnten auf diese Weise die bei den Potentiometern gefürchteten Gleichlaufprobleme erst gar nicht entstehen.
Vorverstärker mit Entzerrung nach Gerard Haas für den Anschluss von magnetischen Tonabnehmersystemen.
Ein Blick in den geöffneten Messverstärker mit Entzerrer zeigt den Aufbau. Optimiert und um einen Kopfhöreranschluss und einen Lautstärkeeinsteller erweitert.
Ein Kopfhörer war auch noch zur Hand, auch dieser musste aber hinsichtlich seines Impedanzverlaufs noch untersucht werden. Da es sich, wie sich herausstellte, um ein System mit einer Nennimpedanz von rund 365 Ohm handelte stand dem Anschluss an den von mir modifizierten Entzerr-Vorverstärker nichts im Wege. Ich hatte die Ausgangsimpedanz des Verstärkers auf etwa 10 Ohm herabgesetzt.
Die Geräte wurden nun zur näheren Untersuchung an den Messplatz angeschlossen. Wie man vielleicht erkennen kann, werden hier sonst eher Apparaturen der Hochfrequenztechnik bis hinein in den GHz-Bereich untersucht, aber ein Analyser für den NF-Bereich ist auch mit dabei. Der gute alte HP-3582A kann bei freilaufender Triggerung zwar nur drei Proben pro Sekunde entnehmen, aber immerhin steht damit ein durchaus taugliches Audiomessgerät zur Verfügung.
Will man den Gleichlauf, den Frequenzgang und die Abtastfähigkeit eines Plattenspielers beurteilen sowie die Einstellungen für die Auflagekraft optimieren und den Skatingeffekt kompensieren, dann kann man dazu auch Mess- und Bezugsschallplatten verwenden. Vorteil dieser Methode ist die Einstellung der Parameter unter dynamischen Betriebsbedingungen. Diese in den 70er Jahren angeschafften und gut gehüteten Erzeugnisse der Deutschen Grammophon Gesellschaft Hamburg, kamen nach vielen Jahren also auch mal wieder zum Einsatz.
Die geringe Messrate des HP-3582A ist zusammen mit der logarithmischen Frequenzvariation des Gleitfrequenzteiles der Messchallplatten dafür verantwortlich, dass die Kurven zu hohen Frequenzen hin diese Wellen zeigen. Es handelt sich also um ein messtechnisches Problem das nicht weiter von Bedeutung ist, wenn man es entsprechend berücksichtigt. Siehe dazu auch den Abschnitt am Ende des Beitrags „für Technik-Interessierte“.
Nach dem nun der Plattenspieler in stundenlanger Fummelei optimiert wurde, kann gesagt werden, dass trotz aller Sorgfallt, immer noch Verzerrungen, Übersprechen, Rumpeln und Gleichlaufschwankungen in einem gewissen Maß vorhanden sind. Mit den erreichten Werten können wir aber bei dieser Systemkombination zufrieden sein, mehr ist nach meiner Auffassung hier nicht rauszuholen. So gesehen hat sich im Laufe der letzten 30 Jahre nicht viel verändert. Frei nach dem Motto, das wussten wir ja auch schon vorher und das ohne komplizierte Messungen – aber, jetzt können wir doch ganz sicher sein, dass die Nadel in Rillenmitte geführt wird und die Abtastverzerrungen minimiert sind.
Dennoch kommt, trotz oder gerade wegen dieser technischen Unzulänglichkeiten, Freude auf, wenn ich in einer ruhigen Stunde die glänzenden Vinylscheiben drehen lasse und entspannt den Musikern aus Jazz, Klassik und leichter Muse lausche und dabei in Erinnerungen schwelge.
Dietmar Bräuer, Juli 2014
Literatur:
Gerhard Haas, High-End mit Röhren 3. Auflage 1998
Günther Fellbaum, Wolfgang Loos, Phonotechnik ohne Ballast, Franzis Verlag 1978
Handbuch der Tonstudiotechnik, Schule für Rundfunktechnik, K.G.Saur Verlag 1982
Für Technik-Interessierte
Frequenzgang bis 500Hz, links
Frequenzgang des linken Kanals 30Hz bis 500Hz, die untere Kurve zeigt das Über-sprechen vom rechten Kanal.
Frequenzgang bis 500Hz, rechts
Frequenzgang des rechten Kanals 30Hz bis 500Hz, die untere Kurve zeigt das Über-sprechen vom linken Kanal.
Frequenzgang bis 5000Hz, links
Frequenzgang des linken Kanals 30Hz bis 5000Hz, die untere Kurve zeigt das Übersprechen vom rechten Kanal. Die 10dB Pegelsprünge bei f = 1kHz sind aufzeichnungs- und abtastgeometrisch bedingt. (Sind also auf den Messplatten mit drauf, hängen auch mit der maximalen Schnelle des Schneidstichels zusammen
Frequenzgang bis 5000Hz, rechts
Frequenzgang des rechten Kanals 30Hz bis 5000Hz, die untere Kurve zeigt das Über-sprechen vom linken Kanal.
Frequenzgang bis 25000Hz, links
Frequenzgang des linken Kanals 1000Hz bis 25000Hz, die untere Kurve zeigt das Über-sprechen vom rechten Kanal.
Frequenzgang bis 25000Hz, rechts
Frequenzgang des rechten Kanals 1000Hz bis 25000Hz, die untere Kurve zeigt das Über-sprechen vom linken Kanal.
Abtastverhalten, 315Hz, links (oben) rechts (unten)
Abtastverhalten bei 120µm lateraler Nadelauslenkung: Der rechte Kanal zeigt deutliche Verzerrungen. In diesem Fall muss dem Skatingeffekt etwas mehr entgegen gewirkt werden.
Tonabnehmer Ortofon OD2
Plattenspieler Kenwood KD-770D mit originalem Tonarm.
Abtastverhalten, 315Hz, links (oben) rechts (unten)
In mehreren Durchgängen wurde das optimale Auflagegewicht von 1,9g (Auflagekraft 18,64mN) unter Kompromissbildung zwischen minimalen Verzerrungen und geringstem Übersprechen ermittelt.
Millinewton (mN) ist die physikalisch korrekte Angabe für die Auflagekraft. Das Gewicht in Gramm beschreibt nur die Masse eines Körpers.
Der Zusammenhang zwischen Auflagegewicht in Gramm und Auflagekraft in mN ist folgender:
Auflagegewicht [Gramm] = Auflagekraft [Millinewton] / 9,81 [Erdbeschleunigung] m = F / g
Allgemein gilt:
F = m * g, Kraft = Masse * Beschleunigung
- F = Kraft in Newton (hier in mN Millinewton)
- g = Schwerebeschleunigung, Erdbeschleunigung 9,81m/s²
- m = Masse in kg (hier in g, Gramm)
Etwas problematisch ist hierbei die doppelte Verwendung des Buchstaben „g“, der zum einen für die Erdbeschleunigung steht und zum anderen als Einheit Gramm der Gewichtsangabe (Masse eines Körpers) dient.
Für den Ausgleich des Skatingeffekts konnte man auf der Skala einen Wert von 2,7g ablesen, sei’s drum, die Skalenwerte für die Auflagekraft und den Ausgleich des Skatingeffekts bleiben den dynamisch ermittelten Werten untergeordnet. Entscheidend ist, dass das System, bestehend aus Tonarm und Tonabnehmersystem in sich, durch die oben erläuterten Einstellungen, im optimalen Arbeitspunkt betrieben wird.